Friedensnobelpreis 1952: Albert Schweitzer

Friedensnobelpreis 1952: Albert Schweitzer
Friedensnobelpreis 1952: Albert Schweitzer
 
Der elsässische Theologe und Arzt wurde für seinen Einsatz im Urwaldkrankenhaus von Lambarene im westafrikanischen Gabun und für seine Bemühungen um die Völkerverständigung ausgezeichnet.
 
 
Albert Schweitzer, * Kaysersberg (Elsass) 14. 1. 1875, ✝ Lambarene (Gabun) 4. 9. 1965; 1893-99 Studium der Theologie und Philosophie, Abschluss jeweils mit Promotion, 1900 Vikar in Straßburg, 1905-13 Medizinstudium mit Promotion, 1912 Heirat mit Helene Breßlau, 1913-17 erste Afrikareise, ab 1924 wechseln sich 14 weitere Afrikaaufenthalte mit Konzert- und Vortragsreisen in ganz Europa und den USA ab.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Gerade noch hat Albert Schweitzer in der primitiven Wellblechhütte am Operationstisch gestanden, kurz darauf ist er mitten im Urwald zusammen mit einem kleinen Trupp afrikanischer Helfer dabei, den Bauplatz für eine weitere Baracke seines Buschkrankenhauses zu roden. Das von ihm und seiner Frau Helene 1913 bei Lambarene in Französisch-Äquatorialafrika gegründete Spital muss ständig ausgebaut und erweitert werden, denn die Kranken strömen in Scharen herbei — Schweitzer ist der einzige Arzt in einem Gebiet von mehreren hundert Quadratkilometern.
 
 Organist, Schriftsteller und Urwalddoktor
 
Eigentlich hätte eine Laufbahn als Theologieprofessor Albert Schweitzer im Elsass ein gesichertes Auskommen geboten. Darüber hinaus war ihm die Musik mehr als ein zweites Standbein: Als gefeierter Organist füllte er bei seinen Orgelkonzerten die Kirchen, und seine beiden Biografien über Johann Sebastian Bach (eine in französischer und eine in deutscher Sprache) zählen bis heute zu den Standardwerken. Auch mit seinen theologischen Arbeiten, insbesondere zur Leben-Jesu-Forschung, hatte er sich bald einen Namen gemacht.
 
Dennoch entschließt sich Schweitzer im Jahr 1905, im Alter von 30 Jahren, noch ein Medizinstudium zu beginnen. Angesichts des Elends in der Welt will er Kunst und Wissenschaft für den Dienst am Menschen aufgeben: »Es kam mir unfasslich vor, dass ich, wo ich so viele Menschen um mich herum mit Leid und Sorge ringen sah, ein glückliches Leben führen durfte.« Aus christlicher Nächstenliebe entscheidet er sich dafür, den Armen in Afrika zu helfen.
 
1913 setzt Schweitzer diesen Wunsch in die Tat um: Begleitet von seiner Frau reist er nach Lambarene (im heutigen Staat Gabun) und beginnt noch am Ankunftstag mit der Behandlung der Kranken. Am Anfang praktiziert er in einem ehemaligen Hühnerstall. Dann werden eine Wellblech- sowie drei Holzhütten mit Blätterdächern errichtet, und bald ist daraus ein kleines Spitaldorf geworden.
 
Doch der Erste Weltkrieg setzt Schweitzers Projekt ein jähes Ende. Der Elsässer wird als deutscher Staatsbürger von den französischen Kolonialbehörden 1917 nach Europa zurückgeschickt und verbringt mit seiner Frau mehr als ein Jahr in verschiedenen Internierungslagern. Es folgen schwierige Jahre: Die Schweitzers leiden beide an den gesundheitlichen Folgen der Internierungshaft und aus der Krankenhausgründung in Afrika hat sich ein Schuldenberg aufgetürmt, der jetzt abgearbeitet werden muss. Erst 1924 bricht Albert Schweitzer wieder nach Afrika auf, diesmal ohne seine Frau, die ihn aus gesundheitlichen Gründen nicht begleiten kann. Er renoviert das verfallene Hospital und entschließt sich 1925 aus Platzmangel zu einem Neubau an anderer Stelle.
 
 Wanderer zwischen den Welten
 
Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte reist Albert Schweitzer noch zwölf Mal zwischen Europa und Afrika hin und her: In der europäischen »Zivilisation« sammelt der »Urwalddoktor« durch Vortragsreisen und Konzerttourneen als Organist viele Spenden für seine Lambarenestiftung und erholt sich von den strapaziösen Lebensbedingungen in den Tropen. Im entbehrungsreichen afrikanischen Busch schreibt er, der im Lauf der Jahre seine ärztliche Tätigkeit immer weiter zurückschraubt, tausende Dankesbriefe und verfasst zahlreiche Schriften und Bücher, unter anderem die »Mitteilungen aus Lambarene«, eine Art Rechenschaftsbericht an die Spender in Europa. Doch vor allem kümmert er sich um den Ausbau seines Krankenhauses, das im Lauf der Zeit um Behandlungs- und Schlafräume, eine Isolierstation für Seuchenkranke und ein Lepradorf (finanziert durch den Friedensnobelpreis) erweitert wird.
 
Und wenn es um sein Hospital geht, ist Albert Schweitzer unerbittlich. Arbeiten die afrikanischen Helfer nicht schnell genug, kann der sonst Sanftmütige ungeduldig, herrisch und autoritär werden. Dafür ist er häufig angegriffen und als Kolonialist, sogar als Rassist beschimpft worden — zu Unrecht, wie seine Kritik an den »zivilisierten« Kolonialmächten zeigt: »O, diese vornehme Kultur, die so erbaulich von Menschenwürde und Menschenrechten zu reden weiß und die diese Menschenrechte und Menschenwürde an Millionen und Millionen missachtet und mit Füßen tritt, nur weil sie über dem Meere wohnen, eine andere Hautfarbe haben, sich nicht helfen können.«
 
Für Schweitzer ist die Arbeit in Afrika die konsequente Umsetzung seiner Philosophie der »Ehrfurcht vor dem Leben«, derzufolge ein Mensch nur ethisch handelt, wenn ihm jedes von Gott geschaffene Wesen — ob Pflanze, Tier oder Mensch — »heilig ist und er sich dem Leben, das in Not ist, helfend hingibt«. Er selbst betrachtet sich als »Bruder« der Schwarzen, wenn auch als »älterer Bruder«, der dem unerfahreneren Jüngeren lehrend zur Seite stehen muss, ohne ihnen dabei — wie von vielen Missionaren praktiziert — ein anderes Weltbild aufzuzwingen. Mit einer gehörigen Prise Humor und Selbstironie akzeptiert er ihre kulturellen Eigenheiten, Sitten und Gebräuche, wie etwa in der von ihm für den Fall formulierten Grabinschrift, dass er Kannibalen in die Hände fallen sollte: »Wir haben ihn gegessen, den Doktor Albert Schweitzer. Er war gut bis an sein Ende.«
 
 Der Weltbürger mahnt zum Frieden
 
Als gebürtiger Elsässer zwischen Deutschland und Frankreich hin und hergerissen hat Albert Schweitzer schon früh die Auswirkungen von Nationalismus und Krieg am eigenen Leib verspürt. Zunehmend sorgt sich der Weltbürger wegen der atomaren Bedrohung der Menschheit und nach anfänglichem Zögern nutzt Schweitzer seine Popularität, um darauf aufmerksam zu machen. Trotz schärfster Angriffe seitens der Politik und der Medien warnt er 1957 und 1958 in mehreren Appellen über Radio Oslo eindringlich vor den Gefahren eines Atomkriegs und verlangt Verhandlungen auf höchster Ebene über das Ende der Atombombenversuche. Seine Bemühungen werden 1963 wenigstens teilweise belohnt, als zwischen den USA und der UdSSR ein Vertrag über den Stopp von oberirdischen Kernwaffentests geschlossen wird.
 
Albert Schweitzer hat in mehrerer Hinsicht Außergewöhnliches geleistet: als Begründer der modernen Entwicklungshilfe, der in Zeiten kolonialer Ausbeutung selbst- und vorurteilslos Hilfe leistete; als Begründer der Krankenstation von Lambarene, die sich inzwischen zu einem der führenden Tropenkrankenhäuser Schwarzafrikas entwickelt hat; als unerschrockener Streiter für Frieden und Abrüstung, der »nicht von den Zinsen seines Ruhms konfliktlos leben« wollte, sondern sie »ohne Rücksicht auf Ansehensverluste unverzüglich wieder ins Weltgewissen investiert« hat, wie Harald Steffahn in seiner Albert-Schweitzer-Biografie bemerkte.
 
S. Straub

Universal-Lexikon. 2012.

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